Hintergrund

Die von Reiseveranstaltern und Reisebüros erbrachen Reiseleistungen werden umsatzsteuerlich nicht als „Lieferung“, sondern als „Sonstige Leistungen“ qualifiziert. Wesensmerkmal der „Sonstigen Leistungen“ ist es, dass darüber gestritten werden kann, wo diese eigentlich erbracht werden: in Betracht kommen beispielsweise der Ort, an dem der Leistende Reiseunternehmer sitzt, der Betriebssitz oder Wohnsitz des Reisenden oder der Ort, an dem tatsächlich „konsumiert“ wird.

Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wurden deshalb Regeln vereinbart, wo Dienstleistungen (fiktiv) als erbracht gelten. Diese finden sich in der sogenannten „Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie“. Da aber die EU keine nationale Gesetzgebungskompetenz besitzt, müssen die Mitgliedstaaten die Inhalte der Richtlinie in nationales (hier: Umsatzsteuer-)Recht übersetzen. Dabei bleibt viel Spielraum für Interpretation und Fehler.

Streitigkeiten darüber, ob die nationale Umsetzung „korrekt“ erfolgte, werden vor dem Europäischen Gerichtshof ausgetragen.

In einem solchen Verfahren hat die Bundesrepublik nun – erwartungsgemäß – verloren und muss seine nationalen Regelung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Reiseumsätzen anpassen.

Deutschland bisher: Reisemargen nur für Endverbraucher

Die sogenannte „Margenbesteuerung“ steht Reisebüros und Reiseveranstaltern (kurz: Reiseunternehmer) nur offen, soweit sie PRIVATE KUNDEN (Endverbraucher) bedienen.

Die Margenbesteuerung beruht – stark vereinfacht – auf folgenden Grundgedanken:

  1. Als „Ort der Dienstleistung“ gilt stets der Sitz des Reiseunternehmers.
    (Vorteil: es gilt das deutsche Umsatzsteuerrecht und eine Registrierung als umsatzsteuerlicher Unternehmer in jedem Zielreiseland, die mit hohen Kosten verbunden wäre, wird vermieden)
  2. Zunächst wird dann die Reisemarge ermittelt.
    (Bsp.: Reisepreiserlös 10.000 Euro abzüglich der dafür eingekauften Reisevorleistungen 8.000 Euro ergibt Reisemarge 2.000 Euro)
  3. Die Reisemarge ist dann der Bruttoerlös, aus dem die Umsatzsteuer herauszurechnen ist.
    (Bsp.: 2.000 : 119% = Nettoerlös 1.680,67 Euro zzgl. Umsatzsteuer 19%, also 319,36 Euro)
  4. Der Reiseunternehmer schreibt seine Rechnungen OHNE Ausweis der Umsatzsteuer.
    (Vorteil: die Marge, die der Kunde sonst aus der Höhe der ausgewiesenen Umsatzsteuer rückrechnen könnte, bleibt „geheim“.
    Nachteil: mangels ausgewiesener Umsatzsteuer könnte diese nicht beim Finanzamt als Vorsteuer zurückgefordert werden – das interessiert aber den Endkunden als ohnehin nicht vorsteuerabzugsberechtigten Verbraucher nicht!)

Wird hingegen eine Reise gegenüber GESCHÄFTSKUNDEN – etwa für ein Firmen-Incentive – erbracht, gilt nach bisherigem deutschem Recht KEINE Margenbesteuerung. Stattdessen kommt das komplizierte Flechtwerk der Leistungsort-Fiktionen zur Anwendung und jede einzelne Teilleistung wird gesondert beurteilt. Die Rechnung des Reisunternehmers muss demnach aufgesplittet werden: Teile davon unterliegen deutscher Umsatzsteuer, andere Teile hingegen unterliegen dem Umsatzsteuerrecht des Ziellandes. Die dann in der Folge vereinnahmte ausländische Umsatzsteuer muss im Zielland abgeführt werden, was eine volle Registrierung als Unternehmer im Zielland voraussetzt und zu erheblichen Kosten führt (etwa die Beauftragung eines zusätzlichen Steuerberaters im Zielland und die Notwendigkeit, für jedes Zielland einen eigenen Buchungskreis einzurichten). Andererseits spricht für diese erhebliche Verkomplizierung – zumindest bei großen Umsätze – dass sich der Geschäftskunde die in der Rechnung des Reiseunternehmers offen ausgewiesene deutsche- und ausländische Vorsteuer zurückholen kann, was seine Kosten auf den Nettobetrag reduziert. Der Geschäftskunde stellt sich also umsatzsteuerlich nicht schlechter, weil er einen zwischengeschalteten Reiseunternehmer beauftragt, statt „einfach“ alle Leistungen direkt einzukaufen (z.B. Hotel im Zielland).

EuGH: Reisemargen auch für Geschäftskunden

Der EuGH hat nun geurteilt, dass die vereinfachenden Regelungen der Reisemargenbesteuerung auch im Verhältnis zu Geschäftsreisenden anzuwenden sind.

  • Das Urteil in der Rechtssache C – 380/16 vom 08.02.2018 finden Sie hier im Volltext.

Kommentar und Ausblick

Der DRV Deutscher Reiseverband e.V. als „Spitzenverband der Reisewirtschaft“ hat sich zur Sache bereits eingelassen.

  • Die Pressemitteilung des DRV zum Urteil in der Rechtssache C – 380/16 vom 08.02.2018 finden Sie hier im Volltext.

Als Kanzlei für kleinere und mittelgroße Reiseveranstalter und Reisebüros sehen wir hingegen auch die erheblichen Vorteile der Regelung:

  • Die enormen Kosten für ausländische Steuerberater (bei leider oft geringer Beratungsqualität) lassen sich nun komplett vermeiden.
  • Die erheblichen Probleme bei der Rückforderung ausländischer Vorsteuer entfallen.
  • Die weggefallenen Risiken und erheblichen Kosteneinsparungen führen gerade bei kleinen Reiseunternehmen zu Spielraum bei der Preispolitik. Damit lässt sich der Geschäftsreisekunde unter Umständen preislich sogar besserstellen.

Im Übrigen sind auch andere Lösungen möglich, etwa die Umstellung des Geschäftsmodells auf Kommissionsbasis (vereinfacht: der Geschäftskunde erhält die Rechnung des Hotels direkt; der Reiseunternehmer erhält eine Provision).

Der Deutsche Gesetzgeber ist nun aufgefordert, Lösungen zu finden. Bis dahin bleibt Reiseunternehmern (wie bisher) die Wahl, sich auf die für sie günstigere Rechtsordnung zu berufen: auf das nationale deutsche Umsatzsteuergesetz oder auf die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie direkt.

Reiseunternehmer sollten schon heute Ihr Geschäftsmodell und Handlungsalternativen prüfen und gegebenenfalls neue Vereinbarungen mit Kunden und Lieferanten vorbereiten, damit langfristig geplante Incentives mit Gewinn durchgeführt werden können.

Bei Beratungsbedarf sprechen Sie uns gerne an!